Dr. Harald Schlitt
Kontakte
Werkzeuge für das Training
sozialer Kompetenzen
Modul 2: Nonverbales Verhalten in dualen Interaktionen
Handbuch zu Modul 2
Die “Werkzeuge für das Training sozialer Kompetenzen” entstanden als qualifizierte und vor allem praxisorientierte Arbeitsmaterialien zu den Themen Soziale Kompetenz, Interpersonale Wahrnehmung sowie ontaktverhalten/Kommunikation. Die Videosequenzen geben dem Psychotherapeuten professionelle Hilfen in Form visueller Modelle an die Hand, die universell und dennoch individuell zielführend im Praxisalltag eingesetzt werden können - Stichwort „Lernen am Modell”.
„Modul 2: Kontakte - nonverbales Verhalten in dualen Interaktionen“ bietet auf zwei DVDs insgesamt 25 pantomimische Darstellungen von Kontakten und Kontaktverläufen zwischen einem Mann und einer Frau. Die handelnden dramatischen Personen werden von dem Pantomimen, Clown und Jongleur CALVERO und seiner Kollegin und Marcel Marceau-Schülerin Christina Kon dargestellt. In 16 Szenen agieren die beiden als Clownin und Clown, in 9 parallelen Real-Szenen mimen sie Realcharaktere in wirklichkeitsnahen Interaktionen. Dualität ist bereits eine Beziehungsgeschichte und führt auch unter realen Menschen zu allerlei Verwicklungen, Trauerspielen oder Komödien. Solche Geschichten sind für unsere Klienten und für uns als Behandler unmittelbar bedeutsam und interessant.
Auf der DVD 1 können über das „Menü“ die Clown-Szenen abgerufen werden, DVD 2 enthält die Real-Szenen. Die Clown-Szenen sind deutlich übertrieben und burlesk, die Real-Szenen eher wirklichkeitsnah. Im Prinzip kann damit genau wie mit Modul 1 (siehe Manual unter Modul 1) gearbeitet werden. Es kommen auch dieselben Zielgruppen in Frage. Die Weiterung besteht lediglich darin, dass nunmehr duale Interaktionen beobachtet und nach den Videovorlagen handelnd umgesetzt werden können. Dabei bekommen Klient wie Therapeut simultan Rollen zugewiesen. Beide mimen je eine Person in einem sozialen Zusammenhang bzw. realisieren sog. „Skripts“ in einem zeitlichen Verlauf. Beide können und sollen sich selbst spielend erleben, ihre Rollen variieren, tauschen und erweitern. Neben diesem „Skilltraining“ werden interaktionale Pläne und Ich-Umwelt-Schemata gut diagnostizier- und behandelbar.
Allgemeines zu den Spielszenen
Die bis zu vier Minuten langen Filmsequenzen zeigen lustige und weniger lustige Begegnungen von Menschen in quasi alltäglichen Situationen. Sie zeigen Versuche der Kontaktaufnahme und Arten der Kontaktabwehr. Sie demonstrieren teils perfekte Modelle, teils Beispiele der Unbeholfenheit. Die Protagonisten reagieren aufeinander und begeben sich damit in „Spiele“ mit verblüffenden Wendungen und offenen Ausgängen. Diese Dynamik der Interaktion kann unmittelbar miterlebt oder in der Selbsterfahrung bzw. im Verhaltenstraining zum positiven Gegenstand des sozialen Lernens gemacht werden. Angst vor der Spontanität verschwindet bei der Nachahmung. Bei spielerischer Kontakterprobung und Ausarbeitung eigener Spiele ensteht Lust auf Wiederholung und Übertragung.
Die Geschichten werden langsam entwickelt. Sie sind durch die vielfältigen Möglichkeiten der DVD-Technik bestens zur schrittweisen Erarbeitung mit den Patienten geeignet. Es ist jederzeit möglich, die Filme anzuhalten, sie vorwärts und rückwärts laufen zu lassen, zu verlangsamen und zu zoomen (vgl. Modul 1). In Modul 2 gibt es zusätzlich die Besonderheit, dass die meisten Spielszenen aus zwei Kameraperspektiven aufgezeichnet wurden. Die Perspektive kann durch Bedienung des Knopfes „Angel“ bzw. des Knopfes mit dem Kamerasymbol auf der Fernbedienung des DVD-Spielers gewechselt werden. Das ist außerordentlich nützlich, um soziale Perspektivenübernahme anzuregen und/oder sie zu simulieren oder divergierende Wahrnehmungen besser zu verstehen und sie nutzen zu lernen.
Die Filme dienen in erster Linie der Schulung der Verhaltensbeobachtung und Verhaltensanalyse. Es ist aber günstig, die Anschauung direkt mit der Veränderung des Verhaltens zu verbinden. Dazu sieht man sich eine Spielszene unkommentiert vollständig an und bespricht anschließend mit dem Klienten dessen Wahrnehmungen und Eindrücke. Dieses subjektive Erleben wird zur Formulierung der objektiven Spielidee und Bewertung ihrer Umsetzung benutzt, kann aber auch selbst Gegenstand der weiteren Bearbeitung werden. Danach zerlegt man den Film Stück für Stück und kommt so zu den Partikeln: Körperhaltung, Bewegung, Blickkontakt, Lächeln, Mimik, Gestik, Distanz, Berührung etc. Wichtig dabei: sofort mit dem Klienten das Gesehene nachspielen und es so unmittelbar erlebbar machen! Es sollten auch Übungen zu den einzelnen Elementen generiert und neues Verhalten „überlernt“ bzw. eingeübt werden. Weiter ist das Verhalten inTransferaufgaben zu überführen, d.h. zum Beispiel, in diversen Alltagskontakten bewusst mehr zu lächeln und den Erfolg zu beobachten. Im Übrigen handelt es sich zwar um „Pantomimen“, beim eigenen Rollenspiel sollte die Sprache jedoch mit einbezogen und in aller Regel sprechend interagiert werden. Zielsetzung und Didaktik sind selbstredend Alterskohorten und Sondergruppen anzupassen.
Viel Spaß macht auch der „Grußclown“. So nennen wir die Abfolge, die mit dem letzten Button (Nr. 16) auf der Clown-DVD abgerufen werden kann. In 12 Gesten-Variationen, unterbrochen durch eine kurze Schwarzblende, erheischt CALVERO die Aufmerksamkeit des Betrachters und stellt dabei die unterschiedlichsten informellen und konventionellen Beziehungen zu ihm her (bei der Präsentation empfiehlt sich die halbe Geschwindigkeit, Zeitlupe ½). Der Grußclown hat die Aufgabe eines Supersignals: Er orientiert den Klienten, löst das Lernverhalten aus und ist positiver Verstärker in einem. Am besten zeigt, bespricht und spielt man die Grußformen vor dem eigentlichen Training einmal durch. Man (er-)findet vielleicht zusätzliche oder entwickelt analog dazu Abschiede. Später zeigt man einfach zu Beginn der Sitzung einmal den Grußclown, bevor es dann zur ersten eigentlichen Aufgabe geht. Im Folgenden ein paar Hinweise und Anregungen, wie die einzelnen Szenen in die Therapie eingebunden werden können.
DVD 1, Szene 1:
Ein Normal- oder Idealkontakt
Wir beginnen „exemplarisch“ mit der Szene 1 auf der DVD 1: Zwei Menschen im Café lernen einander kennen. Sie sind sich sympathisch. Sie tauschen amüsiert ihre Gedanken über einen Artikel in einem Magazin aus. Fertig! Wahrscheinlich könnten Individuen, denen so etwas in Situationen passiert, wirklich nicht mehr darüber sagen, was genau geschehen ist. Wenn wir aber exakt hinsehen, entdecken wir etwas anderes: Wer hat den Kontakt begonnen oder sich als erstes für den anderen interessiert? Wie und mit welchem Ergebnis hat sein Gegenspieler reagiert? Wie ist die Interaktion Schritt für Schritt weiter aufgebaut worden? Was war dabei wichtig? Welche Übergänge lassen sich in der inneren Einstellung/Haltung der Protagonisten vermuten. Woran sieht man das? Kann man Rollenverhalten ausmachen und worin besteht es? Wozu nutzt Rollenverhalten, wobei stört es? Wie kann man sich sinnvoll alternativ verhalten? Wie wird dieser Kontakt wahrscheinlich enden, und wie wird er eventuell fortgesetzt werden?
Der Kontakt beginnt mit einer (verstohlenen) Beobachtung des Mannes durch die Frau. Der Beobachtete bemerkt dies und beobachtet seinerseits die Beobachterin et vice versa. Er forciert seinen Blick, fixiert sie dabei freundlicher. Sie reagiert ebenfalls freundlich, wendet sich einmal kurz demonstrativ ab, dann wieder zu und lächelt dabei weiter. Es kommt zum ersten steten Blickkontakt. Beide lächeln zwar unentwegt, unterbrechen aber die direkte Blickkonfrontation relativ schnell, verstärken die sympathischen Reaktionen bei wiederholten und zunehmend länger andauernden Blickkontakten. Er macht schließlich den „ersten Schritt“ hin zur verbaler Kommunikation: eine lustige Bemerkung über einen Beitrag in seiner Zeitung. Während er die Zeitung schließt, bietet sie einen Gesprächsgegenstand aus ihrem Magazin an. Sie wenden sich einander zu, er rückt näher zu ihr hin, Sie bestätigt dies, indem sie nach einer kurzen Weile ebenfalls näherrückt. Beide berühren sich nun fast, während sie intensiver reden und lachen. Spannungen lösen sich, der Kontakt wird unangestrengt und für beide wohltuend. Man kann sich einen längeren Austausch, einen freundlichen Abschied und eine Aufforderung zum Wiedersehen vorstellen, vielleicht sogar mehr.
DVD 1, Szenen 2-5:
Materialismus und (falscher) Moralismus
Das besondere der Szene 1 ist, dass hier Beziehungsform und Beziehungsinhalt/Zielzusammenfallen. Das macht die Sache in ihrem Verlauf so spielerisch, und dieser Umstand befördert sie zu einer potentiellen Liebesaffaire, zumindest aber zu einer mehr oder weniger guten Freundschaft bzw. Bekanntschaft mit einer gewissen Kontaktwiederholungstendenz. In den Szenen 2-5 fällt das auseinander: Wieder gibt es eine zufällige Begegnung von Mann und Frau im Café. In Szene 2 ist er mit Kaffee und kurzweiliger Lektüre bestens versorgt, während sie gelangweilt erscheint und sichtliches Interesse an einem Artikel seiner Zeitung entwickelt. Sie „kibitzt“ und verhält sich damit grenzüberschreitend. Er signa-lisiert Unwillen, teilt aber dennoch, ob aus Gutmütigkeit oder Ritterlichkeit ist unklar, mit ihr seine Zeitung. Materiell gesehen verliert er nichts, da geistiges Eigentum nicht beansprucht werden kann. Diese Szene kann auch als Beispiel dafür stehen, wie man eine unangenehme Situation elegant löst.
In Szene 3 mangelt es ihr an eigener Schokolade. Sie zeigt pantomimisch gleichzeitig Appetit auf seinen Süßwarenschatz und eine für „Habenichtse“ gebührende Zurückhaltung. Er läd sie daraufhin zu einer Genussgemeinschaft ein. Zusammen verzehren sie entspannt simultan jeder einen Schokoriegel. Beim nächsten Mal wäre sie ihm einen Dienst schuldig. In Szene 4 begehrt er eine Genussbeteiligung an ihrer Mandarine, scheint aber mindestens genauso fasziniert von der ihm dargebotenen Schälkunst sowie erfreut von ihrer Einladung. Die Szene endet wieder mit einem synchronisierten Genussgipfel. Es herrscht Ausgleich. In Szene 5 schließlich wird dem geistig abwesenden und eher profanen Dingen zugewandten Mann von einer Blumenbesitzerin in einer selbstlos-freundlichen Geste eine Rose überreicht. Der Beschenkte kann das interesselos gespendete, reine symbolische Glück gar nicht fassen.
Diese Szenen eignen sich außer zur Einzelbearbeitung vor allem zum Vergleich untereinander. Was sind die Unterschiede, was bedeuten sie? Was ist unter sittlichem Niveau, was geht evtl. darüber hinaus? Die Kenntnis des sozialen Ausgleichsgrundsatzes und seiner Verwirklichung innerhalb ganz alltäglicher Begegnungen ist beim Beziehungsaufbau (oder -erhalt) elementar, aber auch zur Konfliktvermeidung oder -regelung, wenn es zum unvermeidlichen Gegensatzkommt. Da viele Klienten in den konkurrenten Begegnungen der gegebenen geselligen Welt scheitern, sie sich schlecht behaupten können oder prinzipiell benachteiligt sehen (deswegen Ängste, Bitterkeit und Ärger kultivieren), ist die Edukation und die Reflexion der Grammatik zwischenmenschlicher Beziehungen der Dreh- und Angelpunkt sozialer Kompetenztrainings.
Menschen meinen sich moralisch zu verhalten, wenn sie Sekundärtugenden wie Friedfertigkeit oder Zivilcourage zu ihrem obersten Prinzip erklären. Sie vergessen hierbei jedoch regelmäßig die Pflichten gegen sich selbst wie auch die gegen die Fairness als „Idee“. Zusätzlich grassiert in der Gesellschaft ein eklatanter Mangel an Sensibilität und Achtung gegenüber den Rechten Dritter. Für den Aufbau prosozialen Verhaltens, sittlicher Haltungen und Einstellungen ist ein materialer „Wertediskurs“ anzuregen und anhand der Videoclips auch anschauungsgestützt zu entfalten. Außerdem können Formen der Kontaktaufnahme, angenehme Smalltalks, Austausch von Höflichkeiten und Freundlichkeiten in unterschiedlichen Situationen etc. eingeübt werden. Schließlich und endlich sind Rollenspiele bzw. Realerprobungen zu folgenden Inhalten wichtig: um etwas bitten; etwas mit Bestimmtheit fordern; etwas versagen oder mit Bestimmtheit ablehnen: Lob und Kritik äußern etc. Für Fortsetzungen dieser Art sollen die „Werkzeuge“ lediglich einen Anstoß geben.
DVD 1, Szenen 6-7:
Einverständige Inszenierungen, herausfordernde Spiele
Konflikte und widerstrebende Intentionen sind nicht bloß negativ, sie können ebenso positiv und kreativ wirken. Sie müssen sogar in dramatische Formen gebracht werden, sonst würde der Status quo nicht veränderbar sein. Man käme nie zum Ziel, wenn nur nach „Konvention“ agiert würde, man zerstörte Beziehungen oder verletzte Personen, wenn gültige Regeln nur negiert würden. Lösung sind häufig „Inszenierungen“ als transformatorische Akte.
Beispiel:
Szene 6: Offenbar ein Date! Das Paar hat sich zum Zweck des Kennenlernens und erotischer Annäherung getroffen. Er reagiert gehemmt und äußerst hilflos. Sie übernimmt daraufhin die Rolle der Verführerin und ist ihm damit sehr hilfreich. Er ist glücklich, ihr erliegen zu dürfen. Mit der demonstrativen Unfähigkeit hilft er auch ihr, ihrem Wunsch nach Situationskontrolle zu entsprechen. Man könnte sich weitere Aktualisierungen eines solchen Skripts mit anderen Requisiten in anderen Zusammenhängen vorstellen, etwa „Doktorspiele“ oder „Missgeschick“, was auch immer. Um ein Spiel erfolgreich zu spielen, muss man seine Rolle kennen und es inunverstellter Form ebenfalls beherrschen. Deshalb folgt in der Therapie auf die besprochene Szene vielleicht eine kleine Flirtschule, die aber mehr auf Takt und Gleichrangigkeit achtet.
Szene 7: Zwei wahrscheinlich unvertraute, möglicherweise sich bekannte Personen, Mann und Frau, stehen beieinander und warten. Sie beginnen sich für einander zu interessieren und sich Zug um Zug zu einem spannenden Spiel herauszufordern. Da beide versiert im Kontakt sind, gelingt ihnen die Eskalation: das Schubsen, Geschubstwerden, Widerschubsen, Ausweichen etc. ist ihnen eine große Freude. Der Volksmund behauptet ja, dass sich liebt, was sich neckt. An der Umkehrung, dass Necken zum Lieben/Mögen führt, scheint auch etwas Wahres zu sein. Jemanden humorvoll herauszufordern ist nicht einfach, da ein dosiertes Aus-der-Rolle-Fallen gefordert ist. Dazu gehört integraler Sinn für den Verlauf der unsichtbaren Grenzziehungen, die hierbei missachtet werden. Im Film sind das die Regeln körperlicher Distanzwahrung und Formen interpersonaler Achtung. Das können auch Rang-, Rassen- und Geschlechtergrenzen sein oder „schonende“ Konventionen gegenüber Alten, Kranken und Behinderten (sog. PCs).
Grenzen werden aber erst wirklich sinnfällig, wenn man über sie hinausgeht, weswegen man das Necken auch nur lernen kann, wenn man sich etwas traut. Man sollte allerdings, weil man die anderen notwendig verletzt, Fehler eingestehen, sich entschuldigen bzw. um Verzeihung bitten können. Man sollte sich dem anderen erklären und bereit sein, den evtl. angerichteten Schaden wieder auszugleichen. Humor, Wohlwollen und Toleranz sind beizufügen. Hat man einen guten Draht, so ist es auch möglich, anderen etwas zuzumuten. Dabei geht allerlei: Eine kleine Schule der liebevollen Unverschämtheiten sollte in keinem sozialen Kompetenztraining fehlen. Übungen zum Anfassen und Anschauen, zur Selbstveralberung und (ichbewahrender) Selbstentblößung (Shame-Attacking-Übungen) sind hilfreich. Und vielleicht kann der Besuch einer Clown-Kunst-Akademie oder eines Provokations-Seminars allem die Krone aufsetzen.
DVD 1, Szene 8:
Eine Art Selbstdarstellung
Die Szene 8 zeigt einen Aufmerksamkeit und Bewunderung heischenden Akkrobaten, der bei seinem weiblichen Adressaten mit der spektakulären Darbietung seiner Kunst keine Reaktion bewirkt. Erst als er aufgibt und enttäuscht und resigniert neben ihr Platz nimmt, wird er unvermittelt von ihr in eine Unterhaltung gezogen. Erfreut geht er in die Rolle des Partners. Ein Problem bleibt: Er hat jetzt zwar eine Partnerin, aber kein applaudierendes Publikum mehr. Möglicherweise empfindet er das als zu wenig und sich selbst als uninteressant. Und die Frage ist, wie er fürderhin sein Bedürfnis nach Leistung, Großartigkeit und Geltung befriedigen kann, bzw. wie die ihm gebührende Achtung oder Anerkennung zu erwirken ist.
Hier hilft vielleicht die Demonstration der eigenen Qualitäten in anderen Zusammenhängen. Auch der Einwand, ob sie ihn überhaupt an sich „herangelassen“ hätte, wenn er so gar nichtsBeeindruckendes von sich gezeigt hätte, bleibt völlig offen. Jedenfalls hat sie die Initiative zu einer Spielvariante ergriffen, in der er jetzt anders dominiert: er zeigt sich als ihr Beschützer.
Beim Kontaktaufbau und in Beziehungsgestaltungen, bzw. im sozalen Verkehr überhaupt ist es oft wichtig a) wahrnehmbar für sich zu werben und b) die anderen damit nicht zu nerven. Fehlleistungen sind hier Legion. Würdigende Selbstdarstellungen, „Idealverkörperungen“ sind zu üben, sowie ein spielerischer Umgang mit Spleens und liebenswürdigen Nervensägen. Bei letzterem gibt es deutlich Grenzen! Manche verhalten sich derart penetrant und ignorant, dass - möglicherweise - nur eine gründliche Auseinandersetzung mit den störenden Interaktions- und Selbstschemata weiterhelfen kann. Vielleicht ist es auch ratsam, dass der eine oder andere einen Psychologen aufsucht, dass vor allem Freunde oder Partner Therapieversuche aufgeben. Andernfalls spielen sie womöglich „tragende Rollen“ in einer echten Langzeitinszenierung.
DVD 1, Szenen9-15:
Linkische Kontakversuche, grobe Fehlsteuerungen
Die Szenen der zweiten Menüseite thematisieren Ungeschicklichkeit und Aufdringlichkeiten beim Umgang miteinander. Deshalb sollte dem didaktischen Kalkül nicht daran gelegen sein, dass problematische Vorgehensweisen nachgeahmt, sondern dass alternatives Verhalten, oder (bei Abwehr) individuell angepasste Gegenstrategien entwickelt werden. Die Forderung lautet: Finde heraus, wie Du dich in einer solchen oder in einer analogen Situation besser fördern oder schützen könntest! Frage dich aber auch: Was könntest du für Dein Gegenüber oder für die Beziehung tun? Was ist dein Beitrag? Was forderst du ein? Wie setzt du das sinn- und wirkungsvoll um? Was hast du vorher eigentlich genau falsch gemacht? Wie machen es die anderen? Was ist oder wäre vielleicht deine Art? Probier es aus! Wie würde es aussehen, wenn dein Verhalten für dich absolut in Ordnung wäre? Versuch dich dem Bild zu nähern!
Szene 9 zeigt ein zumindest widersprüchliches Verhalten der Dame im Wartezimmer. Sie istauf Ihn aufmerksam geworden und zeigt ihm gegenüber ein diskretes Werbeverhalten, sie wehrt jedoch gleichzeitig ab und enttäuscht seine Aufgebote. Sie „prolongiert“ so den Annäherungsprozess, möglicherweise setzt sie ihn sogar aufs Spiel. Jedenfalls führen Unsicherheit und Ungeschick zu Problemen und Verdruss, am Schluss, vor allem aus Zeitmangel, zum tragischen Misserfolg. Aber: noch ist nichts verloren! Nach seiner Konsultation könnte es weitergehen. Eine andere Sichtweise ist die, dass er es falsch anstellt, und er ihr mehr entgegenkommen könnte.
In Szene 10 verspielt er die vielleicht ursprünglich vorhandenen Kontaktchancen. Auf diese Weise will eine Frau sicher nicht zu einem Plausch gebeten werden. Das provozierende Anstarren, das zudringliche Grinsen und das rohchauvinistische Auf-den-Pelz-Rücken sind garantiert nicht attraktiv. Ein lächerliches Winke-Winke-Spiel ist Gipfel der Impertinenz. Sie rückt demonstrativ und energisch von ihm ab. Er gibt Ruhe!
Frage an den Klienten: Ist die Situation noch umzukehren? Was könnte er tun, wie sollte sie reagieren, warum verhält er sich so, warum sie? Was wäre passiert, wenn einer ganz anders gehandelt hätte, sie z.B. auf sein erstes Lächeln zurückgelächelt, er nicht auf vermeintlichen „Rechten“ oder seinen Vorurteilen beharrt hätte? Manchmal ergeben sich stark abweichende Bewertungen der gleichen Situation. Das geht Handelnden wie Beobachtern so. Wichtig ist nur: Leg dich nicht zu früh und zu einseitig fest. Prüfe erst, wie etwas gemeint ist. Gib dem anderen eine Chance. Versuche auch, deutlich und eindeutig zu kommunizieren. Zeig, was du möchtest, ob du Interesse am Kontakt hast oder nicht, welche Absichten du verfolgst, was dich stört. Lass dich nicht unter Druck setzen und setz dich selbst nicht unter Druck. Achte deine Gefühle und die Gefühle deines Gegenübers. Verlange keine prompten, maximalen Erfolge.
DVD 1, Szenen 11-15:
Bedrängung und Abwehr
Die Szenen 11-14 zeigen vier verschiedene Versionen der Einschränkung persönlicher Rechte von Individuen in der Öffentlichkeit: eine Musikerin, die die Ruhe eines Gastes stört (11), ein Trinker, der seine Begleiterin zum Mittrinken nötigt (12), eine Allzuvertrauliche, die sich dem Nächstbesten aufdrängt (13), ein Straßenhändler, der unbedingt Geschäfte mit einer Passantin machen will (14). Alle diese Szenen sind genau zu beobachten, die Situationen zu deuten, das Verhalten zu analysieren. Sicher kennt jeder ähnliche Zudringlichkeiten, die ebenfalls ins Spiel einbezogen werden können.
Aufgabe könnte sein, Die legitimen Interessen der Beteiligten zu benennen und sie im Spiel auch zu formulieren. Zu erproben sind verschiedene Strategien, z.B. ignorieren, forciert oder differenziert reagieren, Hilfe in Anspruch nehmen, weggehen usw. Allerdings ist zu beachten, dass Selbstbehauptung und soziale Kompetenz keine Fragen langer Diskurse und spitzfindiger Wortklauberei sind, sondern dass es ums praktische Handeln geht. Deshalb ist es wichtig, Zeit und Raum zu nutzen - und den Körper. Eine äußerst zentrale Rolle spielt die Mimik und dabei besonders der Blick. In Szene 15 wird deswegen ein verbreitetes Kinderspiel gezeigt, bei dem sich Zwei fixieren. Einer soll versuchen, keine Mine zu verziehen, während der andere, mittels Ausdrucksbewegungen, bei ihm Reaktionen zu erzielen sucht. Rollenwechsel tun not, um die Effekte zu spüren und die eigene Wirkungsmacht zu verbessern.
Bei den Szenen mit Bedrängungen und Übergriffen werden natürlich die unterschiedlichsten Betroffenheiten bei den Betrachtern aktualisiert sowie Strukturen, die die Wahrnehmung und Bewertung steuern, mobilisiert. Dadurch sind einerseits die Bearbeitung belastender Erfahrung, andererseits die Bewusstmachung persönlicher Ressourcen und Limitierungen gut möglich. So äußerte eine Patientin mit Borderline-Diagnose angesichts des Trinker-Videos (Szene 12), dass die Frau sich ganz schön zickig anstelle. Wäre sie nur etwas freundlicher mit dem Mann umgegangen, hätte es doch keine Probleme gegeben. Eine andere Patientin mit multiplen Ängsten bewunderte umgekehrt den eindrucksvollen Auftritt der Protagonistin. Sie wünschte, sich auch so verhalten zu können. Ein männlicher Patient mit Alkoholabusus wertete, dass er sofort die Szene verlassen hätte, wenn er die Frau gewesen wäre. Der Therapeut möge bei diesen Beispielen bitte selbst erschließen, welche Bezüge zu Person und Störung der Klienten wohl existieren mögen. Die Therapie ist günstigerweise darauf abzustimmen.
DVD 2, Szenen 1-9:
Abgeschminkt
DVD 2 zeigt Real-Szenen, die im Grunde die wesentlichen Spielszenen und Abläufe der Clowns-Szenen auf DVD 1 wiederholen. Die 9 Szenen sind lediglich etwas anders angeordnet. Szene 1 ist jedoch auch hier der Normal- oder Idealkontakt. Szene 2 zeigt die Musikerin, die die Ruhe eines Gastes stört. In Szene 3 werden wieder alle Kontaktchancen verspielt. In Szene 4 gerät das Paar unter Zeitdruck. Szene 5 zeigt, wie ein Mann mit aller Macht versucht, Kontakt zu einer Frau zu bekommen und trotzdem Erfolg hat. InSzene 6 versucht dies eine Frau mit einem Mann - und scheitert. In Szene 7 erliegt ein Mann, widerstrebend aber am Ende glücklich, der Verführungskunst einer Frau. In Szene 8 kann ein Trinker seine Begleiterin nicht zum Mittrinken bewegen. In Szene 9 wird ein Straßenhändler lästig.
Diesmal sind die Darsteller praktisch ungeschminkt und agieren weniger burlesk. Die Szenen werden damit wirklichkeitsnäher. Das soll Varianz in die Modellhandlungen bringen, eine Brücke zum Realverhalten schlagen (vielleicht auch ein Angebot für diejenigen sein, die sich von den Clowns veralbert vorkommen oder noch nicht erwachsen genug sind, um sich einfach an den Clownerien zu freuen). Vor allem aber eignet sich das neu inszenierte Material dafür, die Szene mit einem für den Klienten bedeutsamen Inhalt in einer der nächsten Stunden noch einmal anders darzubieten. Durch den Quasi-Realismus der Filme kann mehr Distanz zu den inneren Prozessen und „Bildern“ bzw. Annäherung an die äußere (Verhaltens-)Wirklichkeit befördert werden. Im therapeutischen Gespräch kann so zwischen diesen beiden Polen psychischer Befindlichkeit möglicherweise direkter vermittelt werden.
Der Autor hat bislang leider keine Erfahrung damit, wie das Instrument in Gruppen einzusetzen ist oder wie bzw. mit welchem Erfolg es in (heil- oder sonder-)pädagogischen Interventionen genutzt werden kann (an entsprechenden Rückmeldungen oder an einem Austausch dazu sind wir sehr interessiert. Scheuen Sie sich bitte nicht, uns Ihre Erfahrungen mitzuteilen). Klar ist jedoch, dass es vor allem bei Halbwüchsigen mehr Motivationsprobleme gibt als bei anderen Altersgruppen und dass vor allem der mangelnde Realismus bemängelt wird. Diesen Einwand nehmen wir ernst, die Filme sind ja tatsächlich und ganz bewusst nicht wirklichkeitsabbildend, und sicher geht es im richtigen Leben ganz anders zu. Auch wenn das der Fall ist, so hindert uns doch niemand, die „Spiele“ konsequent mit den eigenen Realerfahrungen zu vergleichen, die Unterschiede genau zu benennen oder die „Wirklichkeit“ selber in Szene zu setzen. Ein Camcorder ist rasch zur Hand, ein Ambiente gewählt, Personen und Situation kurz umrissen.Los gehts! Zeigen wir's den Clowns!
Harald Schlitt
Der Autor
Dr. Harald Schlitt ist Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. Von 1984 bis 1993 arbeitete er als klinischer Psychologe an der Universitätskinderklinik Mainz. Er ist Dozent an verschiedenen psychotherapeutischen Ausbildungsinstituten und Supervisor für Verhaltenstherapie. Seine Schwerpunkte sind die klinische Entwicklungspsychologie, die Bewältigung chronischer Krankheiten, die Therapieintegration sowie das Training sozialer Kompetenzen. Seit 1993 ist er in eigener Praxis in Mainz tätig.
Die Darsteller
Calvero ist Pantomime, Jongleur und Clown der Extraklasse. Ihm ist es ganz wesentlich zu verdanken, dass die Idee der “Werkzeuge” Wirklichkeit werden konnte. Christina Kon ist Schülerin von Marcel Marceau und ergänzt mit ihren pantomischen Ausdrucksmöglichkeiten Calvero kongenial. Beide verfügen sowohl als Clowns wie auch als Realpersonen über jene künstlerisch-darstellerischen Fähigkeiten, die unverzichtbar sind, um Emotionen und nonverbale Signale so präzise und prägnant in Szene zu setzen, wie es ein therapeutisches Instrument wie die “Werkzeuge” erfordert.
Die Produktion
tm - therapeutische medien
Wolfgang Herzhauser
Kakteenweg 8
55126 Mainz
mail: tm@tm-mainz.de
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